Wo sind die Frauen?

Letztes bekam ich ein Buch in die Finger, das sich ganz spannend anhörte. Doch mit jeder Seite, die ich gelesen habe, habe ich mich mehr geärgert. Ich habe es dennoch bis zur letzten Seite gelesen – vielleicht hätte sich mein Ärger ja noch gelegt.

Das war aber nicht so. Nun bin ich überzeugt, dass es in der Literatur auch die Kategorie „ein Buch alter weißer Männer für alte weiße Männer“ gibt. Das mag sich jetzt vielleicht gemein anhören, aber das ist der Grund, warum ich mich so geärgert habe.

Es ist die Sammlung von Erinnerungen, Reden und ähnlichem eines Politikers zu seinem 85. Geburtstag, das im wesentlichen alte Männer geschrieben haben. Und erinnert wird – Sie ahnen es – im wesentlichen an andere alte weiße Männer. Die Leserinnen und Leser, die die Namen heute nicht mehr kennen, werden kaum aufgeklärt, warum sie wichtig waren. Ein weiblicher Namen fällt dabei eigentlich so gut wie gar nicht. Das mag der Zeit geschuldet sein, in der der Politiker aktiv war, aber auch schon damals gab es sicherlich die eine oder andere weibliche Person, die Spuren hinterlassen haben könnte.

Dass sie es offensichtlich nicht taten, wird an einem Kapitel besonders deutlich: Es geht um eine Rede, die jener Politiker 1975 im Bundestag zum Thema Schwangerschaftsabbruch gehalten hat. Auch dort war mein Interesse im Vorfeld groß – die Enttäuschung am Ende um so größer: Wie kann man über so ein Thema reden und dabei Frauen so ignorieren?

In dem Text geht es fast nur um juristische Fragen. Ja, die sind wichtig, aber sie sind nicht das, was man erwartet, wenn das Kapitel als Rede zum Schwangerschaftsabbruch überschrieben ist und es sich um eine Lesebuch für jeden handelt. Der gedruckte Text ist 8 DIN-A-5-Seiten lang, auf Seite 6 wird erstmals „schwangere Frauen“ erwähnt – und damit auch erstmals das Wort Frau, das ich in diesem Kontext für durchaus wichtig halte. Ganze 6-mal kommen Frauen und Schwangere im gesamten Kapitel vor. Das ist auch für 1975 eine traurige Bilanz, wenn man sich das Thema der Rede – Schwangerschaftsabbrüche – noch einmal in Erinnerung ruft.

Damit hatte sich gut Zweidrittel des Buch gelesen. Schlechter konnte es fast nicht mehr werden, also durchhalten, so meine Devise. Nun ja, was soll ich sagen? Am Ende wurden noch einmal persönliche Notizen zusammengefasst. Überraschung: Auch dabei findet man wieder viele andere alte weiße Männer…

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