Wo sind die Frauen?

Letztes bekam ich ein Buch in die Finger, das sich ganz spannend anhörte. Doch mit jeder Seite, die ich gelesen habe, habe ich mich mehr geärgert. Ich habe es dennoch bis zur letzten Seite gelesen – vielleicht hätte sich mein Ärger ja noch gelegt.

Das war aber nicht so. Nun bin ich überzeugt, dass es in der Literatur auch die Kategorie „ein Buch alter weißer Männer für alte weiße Männer“ gibt. Das mag sich jetzt vielleicht gemein anhören, aber das ist der Grund, warum ich mich so geärgert habe.

Es ist die Sammlung von Erinnerungen, Reden und ähnlichem eines Politikers zu seinem 85. Geburtstag, das im wesentlichen alte Männer geschrieben haben. Und erinnert wird – Sie ahnen es – im wesentlichen an andere alte weiße Männer. Die Leserinnen und Leser, die die Namen heute nicht mehr kennen, werden kaum aufgeklärt, warum sie wichtig waren. Ein weiblicher Namen fällt dabei eigentlich so gut wie gar nicht. Das mag der Zeit geschuldet sein, in der der Politiker aktiv war, aber auch schon damals gab es sicherlich die eine oder andere weibliche Person, die Spuren hinterlassen haben könnte.

Dass sie es offensichtlich nicht taten, wird an einem Kapitel besonders deutlich: Es geht um eine Rede, die jener Politiker 1975 im Bundestag zum Thema Schwangerschaftsabbruch gehalten hat. Auch dort war mein Interesse im Vorfeld groß – die Enttäuschung am Ende um so größer: Wie kann man über so ein Thema reden und dabei Frauen so ignorieren?

In dem Text geht es fast nur um juristische Fragen. Ja, die sind wichtig, aber sie sind nicht das, was man erwartet, wenn das Kapitel als Rede zum Schwangerschaftsabbruch überschrieben ist und es sich um eine Lesebuch für jeden handelt. Der gedruckte Text ist 8 DIN-A-5-Seiten lang, auf Seite 6 wird erstmals „schwangere Frauen“ erwähnt – und damit auch erstmals das Wort Frau, das ich in diesem Kontext für durchaus wichtig halte. Ganze 6-mal kommen Frauen und Schwangere im gesamten Kapitel vor. Das ist auch für 1975 eine traurige Bilanz, wenn man sich das Thema der Rede – Schwangerschaftsabbrüche – noch einmal in Erinnerung ruft.

Damit hatte sich gut Zweidrittel des Buch gelesen. Schlechter konnte es fast nicht mehr werden, also durchhalten, so meine Devise. Nun ja, was soll ich sagen? Am Ende wurden noch einmal persönliche Notizen zusammengefasst. Überraschung: Auch dabei findet man wieder viele andere alte weiße Männer…

Share

Trepp auf, Trepp ab

Es nieselt und es ist schon dunkel – kein guter Start, um an einem Donnerstag-Abend an einem Lauf teilzunehmen. Oder doch? Als der „Urban Run by Bunert“ um 18.30 Uhr im Wuppertaler Luisenviertel startet, setzten sich über 30 Läuferinnen und Läufer, zum Teil mit Stirnlampen und Leuchtwesten ausgerüstet, in Bewegung.

Eingeladen wurde über Facebook, mit dem Zusatz, dass man Laufschuhe eines bestimmten Herstellers testen konnte. Wer wollte, konnte sich ein Paar aussuchen, und gleich bei dem Lauf testen. Das nahmen viele wahr, ganz unverbindlich und kostenlos.

Ganz entspannt ging es los: Rein in die Stadt und gleich die erste Treppe rauf, die nächste wieder runter, über eine Brücke und rauf zur Stadthalle. Der Weg führte weiter über die Südstadt zur nächsten Brücke und die Treppe zum Bahngleis runter, vorbei an erstaunten Reisenden.

Weiter ging es auf Umwegen in die Nordstadt und rauf zum Platz der Republik. Das war nichts für Anfänger, aber Wuppertaler kennen ja ihre Berge, die mitunter auch recht lang sein können.

Und Wuppertaler kennen ihre Treppen: Noch kurz vor tierischen Tretminen gewarnt, ging es wieder nach unten – über Treppen und schmale Gassen bis zur vom Künstler Horst Gläsker unter dem Titel „Scala“ gestalteten Holsteiner Treppe.

So lernt man seine Stadt noch einmal ganz anders kennen, sieht vielleicht auch die eine oder andere Ecke, die man nicht kannte.

Mal rechts mal links ging es weiter, quer durchs Einkaufszentrum; die Café-Besucher freute es. Die letzte Treppe führte raus aus dem Konsumtempel, wieder rein in die Stadt.

Nach etwa 40 Minuten und knappen sechs Kilometern ging es zurück zum Laden, um bei einem alkoholfreien Bier seine eigenen Schuhe zu suchen. Das soll nicht das letzte Mal gewesen sein, heißt es den Veranstaltern. Gut so, ich bin dabei…

Share

Schöne Schlachtfelder?

Was ist denn da in den Briefkasten geflattert? Ein Kalender für 2018. Hmmmm. Im August ist das ok, aber eigentlich will man, zumal wenn der Sommer noch einmal so richtig aufdreht, eigentlich nicht an das nächste Jahr erinnert werden, das ja bekanntlich mitten im Winter beginnt. 

Die Stimmung kann das Thema des Kalenders nicht gerade heben, passt es doch noch mehr zum Winter als der Januar: „Schlachtfelder“ wird das gute Stück betitelt. Bitte was? Wer hängt sich denn so etwas auf? Und das auch noch in zunehmend nationalistisch denkenden Zeiten? 

Ein Blick auf den Herausgeber erklärt einiges: es ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., der für die „Versöhnung über den Gräbern“ stehe und „Arbeit für den Frieden“ leiste, wie es im Kalender heißt.

Fotografiert hat diese Schlachtfelder der Brite Michael St. Maur Sheil, dessen Vater den Zweiten Weltkrieg erlebt hat und den Sohn mit zu einer Reise zu den berüchtigten Schlachtfeldern von Dünkirchen aus dem Ersten Weltkrieg mitnahm. So weit, so gut. Oder doch nicht?

Der Kalender hat tatsächlich schöne Bilder, die von Belgien und Frankreich bis in die Türkei und Kenia reichen. Abgebildet sind Orte, die im Ersten Weltkrieg Schauplatz von Schlachten waren. Dabei wird noch einmal deutlich, dass die Deutschen nicht nur im Zweiten Weltkriwg gewütet haben, was mit Blick auf die Nationalsozialisten oftmals vergessen wird. 

Die Bilder sind auch deshalb so gut, weil sie den Krieg erst auf den zweiten Blick zeigen, etwa durch Krater in einer Wiesenlandschaft. 100 Jahre nach dem Ende des Krieges sind viele der Wunden eben immer noch nicht vollkommen geheilt. Deshalb: Vielleicht brauchen wir genau deshalb heute einen Kalender wie diesen. Um uns zu erinnern. Um nicht zu vergessen. Und um es besser zu machen.

Share

Was ist Sünde, was ist Leben?

Gibt es heute noch die sieben Todsünden? Kennt sie überhaupt noch jemand? Oder sind sie gar nicht mehr so schlimm, wie es die Menschen früher empfanden? Diese Fragen hat sich das Wuppertaler Tanztheater-Ensemble „Social Dance Work“ gestellt. Dabei sind erstaunlich viele moderne Varianten der Todsünden zutage gekommen. So passt das All-you-can-eat-Angebot in Hotels und Restaurants ebensogut zur Völlerei wie die Selfie-Sucht zur Eitelkeit. Der Geiz springt uns sogar als Werbebotschaft entgegen. Und leben wir nicht gerade in einer extremen Neid-Gesellschaft, in der man anderen – gerne auch neu zu uns gekommenen – nichts gönnt? Angesichts dessen, was heute alles auf uns einstürzt, erfasst uns nicht selten eine bleierne Trägheit. Aber sind das tatsächlich alles Todsünden? Oder finden sie nur dann statt, wenn aus Zorn ein Mord, aus Wolllust Zwangsprostitution wird?
Ausgehend von der Titelfigur Betty, deren Kopf voll von vermeintlichen Sünden ist, hat das Ensemble den Tanztheaterabend „Bettys Sinfonie oder die Frage der Sieben Todsünden 2.0“ entwickelt. Die ausverkaufte Premiere im Oktober 2016 sowie ein weiterer ausverkaufter Abend fanden im Wuppertaler „Apollo“ statt, einem alten Filmspieltheater der 1950er Jahre, das heute als Club mit den unterschiedlichsten Veranstaltungen genutzt wird. Ganz auf die Räumlichkeiten abgestimmt, nutzte das Ensemble Tanzfläche, Bühne und Bars ideal.


Im Februar 2017 konnte Social Dance Work zwei weitere Vorstellungen im Kleinen Haus des Theaters Münster von „Bettys Sinfonie“ im Rahmen des Festivals „Tanzspektrum“ zeigen. Die Presse und das Publikum zeigte sich begeistert. Nun kehren die Tänzerinnen, die aus ganz NRW kommen, ihren Trainingsschwerpunkt jedoch in Wuppertal haben, in die Schwebebahnstadt zurück: Am 25. und 26. März 2017 sind sie im Theater am Engelsgarten in Wuppertal zu sehen ist. Die Vorstellung am 25. März beginnt um 19.30 Uhr, die einen Tag später um 18 Uhr. Karten gibt es bei der Kulturkarte.

Share

Zwei Stunden Belanglosigkeiten

Meistens ist der Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Wuppertal-Solingen-Remscheid eine runde Sache: Man trifft viele Menschen und der Gastredner ist in der Regel sehr gut – oftmals sogar mit Mehrwert für einen selbst. So weckte ein Redner vor vielen Jahren bei mir das Interesse an Twitter und Co. Gunter Dueck höre ich noch heute begeistert zu.
Doch in diesem Jahr war (fast) alles anders. Zum einen wird die Veranstaltung immer größer, was die Gespräche nach der Veranstaltung immer schwieriger macht; zumal sich eine nicht kleine Menge der um die 1.000 Besucher nach dem offiziellen Teil sofort hemmungs- und gnadenlos auf die Trink- und Speiseinseln stürzt (die natürlich kostenlos sind). In dem Gewusel jemanden zu finden, ist gar nicht so einfach.

Zum anderen werden die Reden der Kammerpräsidenten und Hauptgeschäftsführer immer länger und leider dabei immer belangloser. 40 Minuten über Platitüden zu reden, die nachher vom Redner selbst als „brisante Themen“ verkauft werden, sind nicht unbedingt das, was den Geist erhellt oder auch nur erfrischt.

Kommt dann noch ein Redner dazu, der eigentlich über die Wahl in den USA und die Folgen für Deutschland reden wollte, aber zum Beispiel das Wort USA nicht einmal in den Mund nimmt, weil er lieber über die Veränderungen der Kommunikation von den Bildern in der Sixtinischen Kapelle bis heute redet, ist die Erschöpfung nach über zwei Stunden eher groß.

Es ist ein bisschen so, dass man vor lauter Menschen den Einzelnen nicht mehr sieht, dass man vor lauter Reden die einzelnen Wörter nicht mehr hört. Hier wäre weniger sicherlich mehr gewesen. Einzig der Gastredner hat versucht, seinen Vortrag so zu straffen, dass man fast pünktlich zum Ende kam. Hier wäre jedoch wahrscheinlich mehr die bessere Variante gewesen. Aber dass ausgerechnet der Gastredner die Veranstaltung zumindest zeitlich rettet, spricht eigentlich schon für sich.

Share

Nerdig by nature?

Kommen zwei oder 150 Personen? Zwei hatte ich schon einmal bei einer Lesung im Container am Opernhaus in Wuppertal. Das war zwar eine komische oder durchaus spannende Erfahrung.

Jetzt, beim Nerdslam in der Börse, ebenfalls in Wuppertal, standen sogar schon einige Wartende vor der Tür. Leer bleiben würde es also nicht – sogar das Gegenteil war der Fall, wie sich später herausstellte.

Schon das Publikum zu betrachten, war spannend. Viele, die in meine Schublade der Nerds gehören, kamen wohl genau dort heraus, andere waren überraschend anders. Zunächst fühlte ich mich zudem eher alt – aber dann kam Karl Otto Mühl, ehrwürdiger und verdienter Schriftsteller aus Wuppertal, der, nun ja, den Schnitt im Publikum deutlich nach oben schnellen ließ. Wobei ich es bemerkenswert finde, dass er sich Neuem nicht verschließt und dabei noch nicht einmal diese sehr spezielle Form des Poetry Slams ausließ.

Denn wie angekündigt, wurde es sehr nerdig, ging es um Videospiele, Filme wie Star Wars und vieles mehr, was an Jungs erinnert, die ständig vor dem Rechner hocken und möglichst nicht an die Luft gehen.

Aber: mit Rahel stand auch eine weibliche Slamerin auf der Bühne, die in der ersten Runde neben vier Jungs – Christof, Grischa, Jan und Oscar – eine richtig gute Geschichte ablieferte.

Auch in Runde zwei zeigte sie viel Sprach- und Vortragstalent, kam mit ihrer Geschichte diesmal aber nicht so gut an. Da zeigte sich auch bei „Liebe schreibt man Alt+9829“, wie dieser Nerdslam überschrieben war, dass weniger die tiefgründigen als vielmehr die lustigen Geschichten gut ankommen. Wer aber zu gewollt lustig sein möchte, kann auch nicht punkten.

So blieben am Ende Jan und Oscar übrig, die auch in Runde drei ihre Sache sehr gut machten und sowohl mit Spachwitz als auch Spontanität und gutem Vortrag überzeugten, wobei Oscar seine Sache besonders gut machte und am Ende gewann.

Es bleibt übrig, dass ein Slam mit festem Thema eine spannende Sache ist, aber nicht jeder genau diesem unbedingt gerecht wird, und das die beiden Slamer David Grashoff und André Wiesler (die Wuppertaler Wortpiraten) nicht nur selbst gut sind, sondern auch junge Talente finden und ihnen eine gute Bühne bieten.

Share

Nachdenken übers Handy

Alles begann mit einem neuen iPhone, auf dem schon vier Fotos waren. Wer hatte sie gemacht? Das fragt sich einer, der sich bis dahin selbst als absoluten Anhänger des Apple-Kults bezeichnet – und damit sowohl die Geräte als auch die Person von Steve Jobs meint: der US-amerikanische Autor und Schauspieler Mike Daisey; im gleichen Jahr geboren, in dem das Unternehmen gegründet wurde.

Doch wenn auf dem Handy Bilder sind, muss sie ja auch jemand gemacht haben. Das Nachdenken darüber lässt auch den Blick auf die Produktionsbedingungen nicht aus. Denn mit dem Beginn der Recherche war es nicht mehr weit zu den Anklagen von Nichtregierungsorganisationen, die auf Menschenrechtsverletzungen in den überwiegend chinesischen Produktionsstätten aufmerksam machen. Im Mittelpunkt steht dabei Shenzhen, auch iCity genannt, und eine ganz eigene und auch abgeschlossene Fabrikwelt, unter anderem des Elektronikproduzenten Foxconn.

Dem schloss sich die weitere Frage an: Wenn das doch alles bekannt ist, warum ist es dann kein allzu großes Thema in den Medien? Sollte es uns, die Handy- und sonstige Technologiejünger, nicht auch selbst kümmern?

Daisey reist nach China, versucht, in die iCity zu kommen, mit den Arbeitern zu sprechen, zum Beispiel über die unzähligen Selbstmorde, die sich dort abgespielt haben sollen. Entstanden ist daraus das Ein-Personenstück „Die Agonie und Ekstase des Steve Jobs“, die auch viele autobiografische Elemente enthält. Das Stück wurde 2010 uraufgeführt, kurz nachdem Steve Jobs gestorben ist.

  
Aber: So faszinierend die Geschichte, so gut sie erzählt ist und scheinbar viele Fakten enthält – sie bildet den Rahmen eines Theaterstücks und erhebt schon deshalb keinen absoluten Anspruch auf Wahrheit. Das wird dem Autor immer wieder vorgehalten, darum hat er das Stück nach der Uraufführung in New York noch einmal ändern müssen. Aber Theater bildet nur ab, es ist nicht die Realität.

Die deutsche Erstaufführung fand 2012 in Dortmund mit Andreas Beck statt – und dort wird das Stück im urigen Studio bis heute gespielt. Und obwohl es ein Monolog ohne Pause ist, vergehen die gut 80 Minuten wie im Flug. Beck schafft es, die Bilder so lebendig zu erzählen, die kaum vorhandene Kulisse so zu nutzen, dass man mitten im Geschehen zu sein scheint. Das ist sowohl für Apple-Jünger als auch -Negierer toll und sicherlich auch für ein ganz junges Publikum interessant, denn es geht um ihr liebstes Stück: das Handy – egal welcher Marke.

Share

Er war nie weg!

Wie kann die Welt vor der Überbevölkerung gerettet werden? Diese Frage stellen sich nicht nur Wissenschaftler und Politiker, sondern sie wird auch immer wieder in Romanen gestellt – wenn das auch manchmal ein wenig verschleiert oder überraschend vorkommt.
Dazu gehören „Eine Billion Dollar“ von Andreas Eschbach und „Er ist wieder da“ von Timur Vermes. Während John Fontanelli aus dem Eschbach-Buch versucht, mithilfe seines billionenschweren Erbes die richtige Strategie zu finden, um die Welt zu retten, spricht in Vermes Buch der wiederauferstandene Adolf Hitler ganz selbstverständlich davon, dass seine Kriege darin begründet waren, die Welt vor der Überbevölkerung zu retten – oder in diesem Fall wohl eher, den Deutschen mehr Lebensraum und Macht mitsamt aller damit verbundenen Ressourcen zu verschaffen.
Wenn man die beiden Bücher zeitgleich liest, werden einem nach und nach die Parallelen zwischen Hitler und Malcom McCaine offensichtlich, dem sich der Millionenerbe John anvertraut, weil er selbst nicht weiß, wie er sein Geld anlegen soll. McCains Plan ist es zum Beispiel, durch die Ausbreitung von Aids die Weltbevölkerung zu dezimieren, indem man kein Geld mehr in die Forschung steckt und auf der anderen Seite die Medikamente für Menschen in armen Ländern unerschwinglich macht.
Und auch, wie der Weltkonzern Fontanelli und Hitler an die Macht kamen, ist nicht unähnlich. Während in Eschbachs Roman Geld, Drohungen und Erpressung den Machtausbau vorantreiben, sind es in Vermes Buch nach Aussage des Ich-Erzählers Hitler in erster Linie Schlägertrupps gewesen, die die Macht seiner Partei in die Köpfe der Menschen geprügelt haben. Gute Politik und die richtigen Argumente sind es in beiden Fällen jedenfalls nicht gewesen, was John Fontanelli fast zu spät erkennt. Die deutsche Bevölkerung hat es ebenfalls zu spät erkannt. Da saß Hitler schon fest im Sattel.
Und auch der wiederauferstandene Hitler kommt im Berlin der 2010er Jahre wieder viel zu leicht voran, weil alle ihn für einen brillanten Komiker halten, der Hitler perfekt imitieren kann. Doch ob das tatsächlich lustig ist? Auch das Bild des jüngst zurückgetretenen Pegida-Vorstands Lutz Bachmann fanden die meisten nicht witzig. Doch ihm ist es zuvor gelungen, ebenfalls die Massen hinter sich zu bringen.
Was sagt uns das – nicht nur in heutiger Zeit? Die Hitlers dieser Welt waren immer da, in welcher Gestalt sie auch gerade daherkommen: ob als windiger, aber mächtiger Geschäftsmann, als wiederauferstandener Diktator oder sich volksnah gebender Aktivist mit verschleierter rechter Gesinnung. Und noch etwas: um die Lösung der Frage nach der Überbevölkerung oder – was eigentlich dahinter stecken sollte, nämlich der gerechten Verteilung der Welt, ihrer Ressourcen und Güter – geht es keinem von ihnen. Also Augen auf: er war nie weg, ist immer noch da.

(null)

Share

Ebola, oder was?

Ebola kann sich in Deutschland nicht so schnell ausbreiten wie in Afrika, heißt es derzeit angesichts der Tragödie, die sich gerade in
Westafrika abspielt. Das stimmt, weil die Hygienestandards in Deutschland tatsächlich wesentlich besser sind.
Aber gerade bei den einfachsten Dinge hapert es auch hier gewaltig.
Wann waren Sie zum Beispiel das letzte Mal auf einer Toilette in einer öffentlichen Sportstätte? Gerade in Sporthallen, die zu Grundschulen gehören, hängen seit einiger Zeit große Plakate, die schon den Jüngsten in bunten Farben und mit Comic-ähnlichen Bildern erklären, dass man sich (am besten vor und nach dem Toilettengang) gründlich die Hände waschen soll – und was gründlich überhaupt bedeutet. Vorbildlich, will man meinen.
Aber: Direkt neben den nicht zu übersehenden Plakaten gähnt der Seifenspender vor Leere und hat der Papiertuchhalter selbiges offensichtlich noch nie gesehen. Und auch eine Klotür weiter herrscht völlige Leere dort, wo man ganz dringend einen Hygieneartikel erwartet hätte!

IMG_2235-0.JPG

Ok, in Turnhallen sind Sie nicht so häufig? Dann schauen Sie sich mal die Örtlichkeiten in Flughäfen, Raststätten oder Einkaufszentren an. Auch dort sind Aufkleber zu finden, die einen eindringlich bitten, sich gründlich die Hände zu waschen.
Was auch in diesem Fall einfach klingt stellt sich als gewisse Schwierigkeit heraus, wenn das Wasser ganze fünf Sekunden läuft. Davon verschenkt man dann zwei bis drei Sekunden, um den Strahl wieder anzustellen. Auch mit Bewegungsmelder ist man dabei nicht viel schneller.
Da stellt sich einem schon die Frage, ob die Menschen, die die Plakate initiiert haben, schon einmal einen Selbstversuch an den oben genannten Orten durchgeführt haben? Oder hängen dort versteckte Kameras, und Witzbolde machen sich über unsere Unzulänglich lustig?
Oder liegt es wie fast immer am fehlenden Geld? Die Plakate und Aufkleber werden von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und dem Robert-Koch-Institut bezahlt, Toilettenpapier, Seife und Papierhandtücher leider nicht. Vielleicht sollte man erst daran arbeiten, bevor man über afrikanische Hygienestandards nachdenkt.

IMG_2234.JPG

Share

„TalPassion“ von Annette Marks

Passionsweg, Kirche? Damit haben heute vor allem junge Menschen nicht mehr viel zu tun. Doch wie man genau die Jungen wieder in die Kirche bekommen könnte, zeigt derzeit die Ausstellung „TalPassion“ von Annette Marks in der Laurentius-Kirche in Wuppertal-Elberfeld.
Gleich am Anfang finden sie sich quasi selbst wieder: In leuchtendem Orange und Blau schwebt über dem Kopf der Eintretenden das Bild des ungläubigen Thomas‘. Ein junges Mädchen auf dem Bild hat (natürlich) nichts anderes zu tun, als die Szene zu fotografieren, in der Thomas nicht glaubt, den Gekreuzigten wieder lebend vor sich zu sehen. Doch was ist das? Das Handy-Display zeigt kein Bild, sondern eine leere Fläche.

20140402-220627.jpg

Und schon ist man mitten in der modernen Passionsgeschichte. Doch genau darin steckt auch die Krux, denn man ist tatsächlich gleich mitten im Kreuzweg. Krux deshalb, weil dem Eintretenden nicht auf Anhieb klar wird, wo dieser Kreuzweg beginnt. Doch ein Problem ist das eigentlich nicht, denn so kann man die Bilder in ihrer Wucht auch ganz einfach so auf sich wirken lassen – die Farben, die harten Kanten, die grob geschnitzten Figuren, die auf eigentümliche Weise die Grausamkeit des Kreuzigungsprozesses auf den Betrachter übertragen. Auf der anderen Seite zieht die Farbigkeit immer wieder die Blicke auf die Bilder. Nur die Kreuzigung selbst bleibt eine Schwarz-Weiß-Zeichnung.
Die Adaption der heutigen Zeit gelingt Marks dabei auch ganz subtil, wenn das Bild zur „Geißelung“ mit dem dornengekrönten Jesus im roten Gewand im Vordergrund einen starken Kontrast zu den grau-schwarzen Schlägern im Hintergrund bilden. Das hinterlässt durchaus ein leises Grauen, erinnern die Schläger doch an Neonazis, die Farbigkeit an eine Hakenkreuzfahne. Hilfestellung bei der „TalPassion“ bietet ein Faltblatt, das Bilder und Station beschreibt und in der Kirche ausliegt.
Für alle, die den Weg in die Kirche scheuen, sind die acht Motive auch auf großen Plakaten in der Elberfelder Innenstadt zu finden – entlang des Weges, dem die Karfreitagsprozession der Italienischen Mission auch in diesem Jahr wieder folgen wird.
Für den einen oder anderen könnte diese Kunst im öffentlichen Raum vielleicht auch der Einstieg sein, sich näher mit ihr (und der Passionsgeschichte) zu beschäftigen. Stationen sind unter anderem die evangelische Citykirche, das Uhrenmuseum, das Verwaltungsgebäude am Neumarkt und der Eingang zur Friedrich-Ebert-Straße. Die „TalPassion“ endet an der Marienkirche an der Hardt.

20140402-220722.jpg

20140402-220709.jpg

20140402-220651.jpg

Share